Indische Kunst, die auf dem Boden Vorder-und Hinterindiens, insbesondere im Gebiet des ((Brahmanismus)) und ((Buddhismus)), entstandene Kunst. (Hierzu 36* die Chromotafel: Indische Kunst I, und die Tafeln: Indische Kunst II und III.)
1) Baukunst. Die hervorragendste Stellung unter den bildenden Künsten Indiens nimmt die Baukunst ein; ihre Geschichte kann man bis in das 3. vorchristl. Jahrh, verfolgen. Die ältesten Denkmäler ahmen nun in der Anlage, der Form der konstruktiven Glieder und dem ganzen Charakter der Ornamentik in überraschender Weise den Holzbau nach. Dies macht es wahrscheinlich, daß eine hochentwickelte Holzarchitektur viele Jahrhunderte lang blühte, ehe man zum Steinbau überging und die am Holz ausgebildete Technik auf Stein übertrug. Der Übergang hatte sich lange vor der Zeit der uns erhaltenen ältesten Denkmäler vollzogen, weil diese schon eine hochentwickelte Technik und Sicherheit in der Bearbeitung des Materials in weit voneinander entfernten Teilen Indiens beweisen.
Die ältesten freistehenden Denkmäler sind die Topen (s. d.) oder Dagopen (s. d.), solide, wenigstens auf der Außenseite mit behauenen Steinen bekleidete Hügel, die von Buddhisten über Reliquien oder zur Verherrlichung denkwürdiger Stätten errichtet wurden. Sie ruhen auf einer Plattform und bestehen aus einem cylindrischen Untersatz mit einer Halbkugel darüber, deren Durchmesser bisweilen über hundert Fuß beträgt. Bei Miniatur-Dagopen und auch bei größeren aus jüngerer Zeit ist der Untersatz manchmal höher als bei den ältesten Beispielen, sodaß die ganze Tope wie ein breiter Turm mit Kuppeldach erscheinen kann. Gekrönt wurde die Tove von einem kubischen Aufsatz, den drei nach außen vorspringende Platten deckten. Die großen, ältern Topen waren oft von einem konzentrischen Steingeländer umgeben, das aus senkrechten, 10 Fuß hohen Pfeilern bestand, die durch drei in sie eingelassene Querbalken von linsenförmigem Durchschnitt verbunden waren und oben einen fortlaufenden Gesimsbalken trugen. Die senkrechten Balken und oft auch die wagerechten waren mit großen, kunstvoll gearbeiteten Medaillons geziert, und auch sonst bot sich hier den Künstlern Gelegenheit, Skulpturen und Arabesken anzubringen. Ein ähnliches Steingeländer, aber als großes Rechteck, umgab auch den alten Buddhatempel unter dem Bodhi-Baum in Gaja.
(Vgl. Cunningham, Mahabodhi, Lond. 2892.) Statt des Geländers findet man bei Topen auf Ceylon freistehende Säulen. Vor den vier Zugängen in dem Steingeländer befanden sich Portale, von denen z. B. in Santschi (s. Vhilsa) eins 35 Fuß hoch ist und aus zwei Pfeilern besteht, die oben durch horizontale Querbalken verbunden sind. Alle Teile sind mit Basreliefs bedeckt und mit freistellenden Figuren geziert. Die Topen finden sich in verschiedenen Teilen Indiens, außerdem in Ceylon und einem Teile von Afghanistan. Die ältesten gehören dem 3. Jahrh. v. Chr. an, die jüngsten etwa dem 7. Jahrh. n. Chr. Dies gilt von den großen Monumenten; die kleinen Dagobas, die die Stelle von Altären in buddhistischen Tempeln vertreten, trifft man an, solange buddhistischer Kultus in Indien besteht. – Vgl. Cunningham, The Bhilsa Topes (Lond. 1854); ders., The Stupa of Bharhut (ebd. 1879); Burgeß, The Amaravati Stupa (Archaeological survey of Southern India, Bd. 3).
Die Höhlentempel (s. d.), Grottentempel, gleichen den Basiliken (s. Basilika); sie bestehen aus einem Schiff und halbrunder Apsis, deren Stelle in den ältesten Tempeln eine runde elliptische Cella vertritt. In der Apsis steht ein Dagoba an Stelle des Altars unserer Kirchen. In den meisten Fällen ist das Schiff durch zwei parallele, hinter dem Dagoba zusammenlaufende Säulenreihen, welche das tonnenförmige Dach tragen, in ein breites Hauptfchiff und zwei fchmale Nebenschifse geteilt (s. Taf. II, Fig. 4 und den Grundriß Fig. 3). Vorn schließt das Schiff bis zum Anfang der Dachwölbung eine Mauer ab, in der ein Thor zum Hauptschiff und meist zwei Pförtchen zu den Seitenschiffen führen. Darüber ist ein der Wölbung des Daches angepaßtes, schwach hufeisenförmiges Fenster, von dessen hölzerner Kassettierung sich in einem Falle noch Reste erhalten haben (s. Taf. II, Fig. 1). Verkleinerte Nachahmungen dieses Fensters in Stein sind ein sehr beliebtes Ornament, das an der Facade unzähligemal wiederkehrt. Häufig steht vor dem Ganzen noch ein Portal, das von zwei wuchtigen Pfeilern getragen wird. Die Dimensionen der einzelnen Teile sind verschieden; in dem Höhlentempel zu Karli (s. d. und Taf. II, Fig. 1-4) beträgt die Länge etwa 126, die Breite und Höhe etwa 45 Fuß. Die ältesten Säulen sind die Siegessäulen Acokas (gegen 260 v. Chr.), jetzt Läth genannt. Sie stehen frei und tragen meistens einen sitzenden Löwen. Es sind runde oder polygonale Säulen, die gewöhnlich einen quadratischen Sockel und oben einen vasenförmigen Knauf haben (f. Taf. II, Fig. 1).
Das Vorbild war wahrscheinlich der Opferpfosten, der oben einen Knauf trug. Als tragende Säulen erhalten sie ein Kapital aus viereckigen, nach oben breiter werdenden Platten, die einen hohen Abacus tragen, um den in Stein gearbeitete Figuren stehen. Der Knauf ist gedrungener, einer umgekehrten Vase gleichend. Der Fuß der Säule ist oft der Spitze analog gebildet, sodaß er, auf breiter werdenden Platten ruhend, einer aufrecht stehenden Vase gleicht (s. Taf. II, Fig. 4). Die Grundform des Pfeilers fcheint ein im Querschnitt quadratischer Pilaster mit kräftigen Konsolen gewesen zu sein. Oft ist nur der mittlere Teil abgekantet, oft der ganze Pfeiler polygonal. Säulen und Pfeiler werden später der Form nach vermischt; auch sind die Säulen und Pfeiler mit Arabesken und Skulpturen bedeckt. – Weit zahlreicher als die Grottentempel sind die in den Fels gehauenen Eremitagen (vihara); manchmal sind es einfache viereckige Klausen mit einer Thür, öfters aber liegen mehrere derselben in einer Linie nebeneinander hinter einer Reihe von Säulen, die einen Vorhof bilden; meistens liegen sie um eine in den Fels gehauene weite viereckige Halle, deren Decke von Pfeilern gestützt wird. In letzterm Falle wird oft eine Cella zur Kapelle erweitert, und wenn dann die Klaufen fortfallen, so hat man eine neue, allerdings sehr späte Art von Grottentempeln.
Die Höhlenbauten finden sich hauptsächlich im westl. Dekan, kommen aber auch m andern Teilen Indiens vor. Im ganzen sind ihrer gegen tausend bekannt. Sie rühren zum großen Teil von Buddhisten her, doch ist die Annahme irrig, daß Buddhisten dieselben erfunden oder eingeführt hätten. Die ältesten derselben stammen aus dem 3. Jahrh. v. Chr., die spätesten aus dem 7. Jahrh.* n. Chr. – Vgl. Fergusson und Burgeß, The Cave Temples of India (Lond. 1880); Burgeß, Archaeological report of Western India (Bd. 4 u. 5).
Ein merkwürdiges Gegenstück zu den Höhlenbanten bilden die aus einem Felsblock ausgehauenen oder aus einem Felsen aus gesparten Tempel. Die erstere Art ist in mehrern Beispielen aus dem 6. Jahrh. n. Chr. unweit Madras, die letztere durch den berühmten Kailas bei Elura ls.d.) aus dem 8. Jahrh, vertreten. Sie sind die frühesten Vertreter dos südind. Stils. Den Zusammenhang mit der in den Höhlenbauten versteinerten Architektur beweisen die sowohl tonnenförmigen als auch kuppelförmigen Dächer dieser Monumente und der an ihnen angebrachten Pavillons sowie das als Ornament verwertete Bogenfenster. Der wichtigste Teil eines Tempels ist die Cella, die das Götterbild enthält und meistens nicht von den Gläubigen betreten wird. Sie hat nur eine Thür, dem Götterbild gegenüber. Kleinere Tempel bestehen oft nur aus der Cella. Jedoch ist derselben gewöhnlich eine Vorhalle vorgelagert, in der die Gläubigen ihre Andacht verrichten. Die Cella, meist mit turmförmigem Dach, überragt an Höhe die Vorhalle (mandapa), während diese an Breite und Tiefe den lichten Raum jener vielfach übertrifft. Zuweilen schlichen sich an die erste Vorhalle noch andere an oder an ihren drei freien Seiten befinden sich Portale. Der ganze Komplex kann in einem von einer Mauer umgebenen Tempelhof liegen, in dem je nach Bedürfnis kleinere Kapellchen errichtet werden.
In dem nordindischen Baustil ist der Grundriß der Cella ursprünglich quadratisch; das turmförmige Dach hat schwach gebogene, oben stärker gekrümmte Flächen und trägt eine wuchtige linsenförmige Scheibe mit gekerbtem Rande, worüber noch ein spitzer Aufsatz steht (s. Taf. III, Fig. 1). Die Gliederung ist durchaus vertikal, den Wänden sind breite Pilaster aufgelagert, die manchmal auch eine Nachbildung des Daches in verkleinertem Maßstab tragen. 2ie Vorhalle hat kein turmförmiges Dach: meist steigt es treppenförmig auf und wird im Innern durch Säulen gestützt, ja zuweilen verwandelt sich die Vorhalle in eine mehr oder weniger offene Säulenhalle. Die Ornamentierung ist reich, Arabesken, Skulpturen (s. Taf. III, Fig. 3) und Statuetten sind überall, namentlich im Innern angebracht. Eine Abart dieses Stils ist der sog. Iainastil. Er zeichnet sich durch seine domförmigen Mandapas aus; dieselben tragen auf vier, acht oder mehr Säulen eine Kuppel, die durch Übertragung von Steinbalken, die auf dem Architrav ruhen, gebildet ist. In einigen Fällen ist der ganze oder größere Teil des Tempelhofs in eine Säulenhalle verwandelt, indem je 4 Säulen eine kleinere Kuppel tragen und dazwischen mehrere größere Dome als Mandapas eingeschaltet sind.
Entfernter verwandt mit dem nordindischen ist der sog. Tschalukjastil im mittlern Teil des Dekan. In demselben ist der Grundriß der Cella sternförmig, ihr Dach pyramidenförmig mit horizontaler Gliederung. Diese Stilarten erhielten sich im Laufe der Zeit nicht rein; die jüngern Tempel haben meist zierlichere und schlankere Formen.
Abweichende Formen zeigt der dravidischeStil im Süden des Dekan. Der Grundriß von Cella und Vorhalle ist ursprünglich ein Rechteck; über der Cella erhebt sich ein aus mehrern Stockwerken bestehender, sich allmählich verjüngender Turm, der eine Kuppel trägt ss. Taf. III, Fig. 2). Manche Tempel sind von einem viereckigen Hof umgeben, zu welchem zwei oder vier Thorbamen führen; diese haben einen pyramidenartigen Turm, der in mehrere Stockwerke geteilt ist und eine tonnenförmige Kuppel trägt. Oft umgiebt ein zweiter, ja dritter Tempelhof den ersten, und dann sind die äußern Thorbauten höher und prächtiger als die innern. In den Tempelhöfen liegen planlos andere Heiligtümer und Gartenanlagen zerstreut. Meistens ist eine Säulenhalle angebracht, die tausend Säulen enthalten sollte (s. Taf. III, Fig. 4).
Von geringerer Verbreitung als die genannten Baustile ist der kaschmirische, in welchem die Cella ein schräges pyramidenförmiges, zweistöckiges Dach und die Thür derselben einen hohen dreieckigen Giebel mit kleeblattartigem innern Bogen hat. Die Säulen sind den Dorischen ähnlich. In Nepal besteht ebenfalls ein besonderer Stil. Das Dach springt an allen Seiten weit vor und ist durch schräge Streben gestützt; meist sind, wie bei den chines. Pagoden, mehrere solcher Dächer übereinander angebracht. Ähnlich sind die Tempel in dem Küstenlande von Kanara, das durch die ganze Länge des Kontinents von Nepal getrennt ist.
Von Indien ging die Baukunst Tibets, Hinterindiens und der ind. Inseln (Java u. s. w.) in frühen Jahrhunderten aus. Man erkennt überall den ind. Geist, wenn auch diese Baustile sich in selbständiger Weise weiter entwickelt haben.
Vgl. Fergusson, History of Indian and Eastern architecture (Lond. 1876); die verschiedenen Bände von Cunningham, Archaeological survey of Western India: Ram Raz; Essay on the architecture of the Hindus (Lond. 1836).
2) Bildnerei. Die Bildnerei hat sich in Indien nicht zu rechter Selbständigkeit entwickelt; sie dient Zumeist der Architektur als dekorative Kunst. Die freistehenden Figuren sind meist steif und unnatürlich, die in Hochrelief gemeißelten ohne scharfe Charakteristik und in den Stellungen nur zu oft verzerrt s. Taf. II, Fig. 2, und Taf. III, Fig. 3 u. 5). Daß die griech. Skulptur auf die indische Einfluß gehabt hat, zeigen Funde im nordwestl. Indien in unverkennbarer Weise.
3) Malerei. Die Malerei tritt ebenfalls oft im Dienste der Baukunst auf, doch ist sie auch als selbständige Kunst gepflegt worden und scheint viel von Frauen und Dilettanten geübt worden zu sein. Ihre Werke sind wegen der Natur des Materials von sehr vergänglichem Charakter. Doch die Wand- und Deckengemälde in den Grottenbauten von Adschanta (s. d.) beweisen, zu welcher Höhe die Malerei in frühen Jahrhunderten gelangt war. (Vgl. Burgeß, Archeological survey of Western India, Nr. 9.) Auch jetzt noch begegnet man unter vielen rohen und schematischen Bildwerken manchen von besserm Geschmack. Namentlich sind die Miniaturen auf Elfenbein mit Recht berühmt.
Das Kunsthand werk hat in Indien von jeher in hoher Blüte gestanden. Die Sorgfalt des orient. Arbeiters in der Ausführung auch des kleinsten Details, sein Gefühl für gefällige Formen und wirksame Farbenkontraste haben auf allen Gebieten des
Kunstgewerbes Bewunderungswertes zu Tage gefördert. (S. Tafel: Indische Kunst 1.)
Brockhaus’ Konversationslexikon 1894