Verwaltung und Geschichte

Bis 1858 war Indien eine Domäne der Ostindischen Kompanie, danach wurde es zu einer britischen Provinz, und der von der Krone ernannte Generalgouverneur wurde direkt unter den Minister für Indien gestellt. Der Generalgouverneur oder Vizekönig, dessen Amtsdauer gewöhnlich auf fünf Jahre bemessen ist, ernennt alle Beamten außer den Gouverneuren von Bombay und Madras, welche ihre Bestallung direkt von der Königin empfangen und eine selbständigere Stellung einnehmen. Wie dem Vizekönig, so steht ihnen ein Ministerium und ein Gesetzgebender Rat zur Seite. Die Beziehungen des Generalgouverneurs zu den einzelnen Landesteilen sind aus der Tabelle, S. 535, ersichtlich. Sitz der Zentralregierung ist Kalkutta, das während der heißen Jahreszeit mit Simla im Himalaja vertauscht wird. Ebenso haben die obersten Verwaltungsbeamten der Provinzen ihre Sommer- und Winterresidenzen. Der Gesetzgebende Rat in Indien beschließt über alle Fragen, ausgenommen die öffentliche Schuld, Münz- und Postwesen, Militärwesen, Strafrecht, auswärtige Angelegenheiten; doch kann der Minister für Indien in London diese Beschlüsse aufheben.

Die englische Verwaltung hat sich den althergebrachten Zuständen zumeist anzupassen gewußt, namentlich hat sie bei der Erhebung der Grundsteuer sowohl das altindische als das mohammedanische Verfahren, wie sie es fand, angenommen. Mit den größern Aufwendungen für öffentliche Bauten, zur Milderung der Hungersnot u. a. haben sich auch die Lasten der Bevölkerung gesteigert; 1857 betrugen die Einnahmen 31,7 Mill., dagegen 1886: 74,5 Mill. Pfd. Sterl.; davon kamen auf Grundsteuer 22,6, Opium 8,9, Salz 6,3, Stempel 3,7 und Accise 4,1 Mill. Pfd. Sterl. Die Ausgaben betrugen dagegen 77,3 Mill. Pfd. Sterl., wovon 18,4 Mill. Pfd. Sterl. in England. Die Hauptposten waren Heer 20,1, Zivildepartement 12,2, Zinsen der Schuld 4,3, Eisenbahnen 14,4 Mill. Pfd. Sterl. Die öffentliche Schuld ist in den letzten 30 Jahren erstaunlich gestiegen infolge der Bewältigung des Aufstandes, der Anlage von Bewässerungswerken und Eisenbahnen, Bewältigung der Hungersnot, des afghanischen Kriegs u. a. Am 1. April 1886 betrug dieselbe 174,524,101 Pfd. Sterl., davon konsolidierte Schuld 166,510,603 Pfd. Sterl. und zwar in Indien zahlbar 92,703,982, in England 73,806,621 Pfd. Sterl., nicht konsolidierte Schuld 8,013,498 Pfd. Sterl.

Das Heer besteht zu einem Drittel aus Briten, zu zwei Dritteln aus Indern und wird eingeteilt in drei Korps nach der alten Einteilung Indiens in drei Präsidentschaften. Die drei Korps sind durch kein Band der Nationalität und der Sprache miteinander verbunden, und die Kasten sind so gruppiert, daß sie bei einem Ausbruch von Unruhen sich gegenseitig unschädlich machen. Den Soldaten ist gestattet, sich zu verheiraten, die Garnisonen bilden daher ausgedehnte Ortschaften (cantonments) aus Hütten, in denen eine jede Familie für sich lebt. Die Gesamtstärke der Armee war 1886: 188,786 Mann, wovon 62,829 Europäer und 125,957 Inder. Artillerie und Geniekorps sind gegenwärtig fast ganz von Europäern besetzt. Hierzu kommen dann noch die Truppen, welche die größern indischen Fürsten vertragsmäßig verpflichtet sind, im Kriegsfall zu stellen, diese zählen 314,625 Mann; andre Fürsten haben Subsidien zur Erhaltung der britischen Armee zu zahlen. Einige Fürsten halten auch noch besondere Korps, die meisten derselben sind aber sehr unvollkommen ausgerüstet.

Die indischen Vasallenstaaten, deren Areal und Bevölkerung, wie oben ausgeführt, sich auf 1,526,548 qkm (27,724 QM.) mit 56,997,784 Einw. beläuft, sind in Besitz und Rechten durch Patente (Sannads, ausgefertigt 11. März 1862) geschützt. Man zählt 153 Fürsten, von denen 28 Hindu sind. Die Erziehung der minderjährigen Fürsten geschieht jetzt in zu diesem Zweck gegründeten höhern Schulen. Die Machtbefugnisse dieser Herrscher sind sehr verschieden; der Nizam von Haidarabad kann die Todesstrafe über seine Unterthanen verhängen, darf Geld schlagen und Steuern erheben, wogegen den kleinen Häuptlingen von Kathiawar nur ein Schatten richterliche Autorität belassen ist. Die englische Regierung hat die Rangordnung und die Zahl der jedem Herrscher gebührenden Salutschüsse bestimmt, auch den Orden des Sterns von Indien für sie geschaffen, läßt den Fürsten in der Verwaltung ihren Unterthanen gegenüber auch ziemlich freie Hand, überwacht dieselben aber durch die für jeden Hof bestellten politischen Agenten. Die Staatseinkünfte, die man für alle Vasallenstaaten auf 12 Mill. Pfd. Sterl. veranschlagt, sind Privateinkommen der betreffenden Fürsten, und ihre Verwendung gibt zu den gröbsten Mißbräuchen Anlaß.

Vgl. Mac Farlane, Our Indian empire (Lond. 1844, 2 Bde.); Kutzner, Reise des Prinzen Waldemar von Preußen nach Indien (Berl. 1857); Monier Williams, Modern India and the Indians (Lond. 1878); Temple, India in 1880 (das. 1880); Schlagintweit, Indien in Wort und Bild (Leipz. 1881, 2 Bde.); Reclus, L’Inde et l’Indochine (Bd. 8 der „Nouvelle géographie universelle“, Par. 1883); Smith, Geography of British India (Lond. 1883); Balfour, Cyclopaedia of India (3. Aufl., das. 1885, 3 Bde.); Mantegazza, Indien (deutsch, Jena 1885); Hunter, Imperial Gazetteer of India (2. Aufl., Lond. 1885-87, 14 Bde.); Derselbe, The Indian empire, its history, people and products (2. Aufl., das. 1886); Werner, Das Kaiserreiche (Jena 1884); Dowson, Classical dictionary of Hindu mythology and religion, geography, history etc. (Lond. 1879).

Geschichte.

Vorderindien ward in ältester Zeit von wilden Volksstämmen schwarzer Farbe (Dasyu) bewohnt. Im 3. Jahrtausend v. Chr. wanderte ein Zweig des großen Völkerstammes der Indogermanen oder Arya von Nordwesten her in das Indusgebiet ein und nahm von diesem Strom den Namen Inder (Hindu) an. Ãœber 1000 Jahre führten die arischen Inder im Lande der fünf Ströme in viele Stämme geteilt unter Häuptlingen und Königen ein seßhaftes Hirten- und Landleben, verehrten den Donner- und Regengott ((Indra)) und die übrigen Naturmächte mit Liedern und Opfern und breiteten ihre Herrschaft bis zur Mündung des Indus aus; die Ureinwohner des Landes wurden gänzlich von ihnen verdrängt. Von einer Verbindung mit Vorderasien gibt die Erzählung des Ktesias von dem Zug der Semiramis nach Indien Kunde, die wohl auf eine geschichtliche Thatsache zurückgehen mag, wie denn auch Handelsbeziehungen mit den Babyloniern und Phönikern bestanden haben mögen.

Im 14. Jahrh. v. Chr. drangen die Inder nach Osten vor und eroberten in jahrhundertelangen Kämpfen, ihrer Heldenzeit, welche in den Nationalepen, Râmâyana und Mahâbhârata, verherrlicht wird, das Gangesland, das sie dann mit noch größerer Anstrengung gegen spätere Einwanderer verteidigen mußten. In diesen Kämpfen erschöpfte sich der kriegerische Geist des Volkes, wozu auch das erschlaffende Klima und die große Fruchtbarkeit Bengalens beitrugen, und so gewann der Priesterstand, die ((Brahmanen)), die Herrschaft und gewöhnte das Volk durch Umbildung der Götterlehre und durch religiöse Gesetze an ein beschauliches Leben und bloß friedlichen Erwerb. ((Indra)) wurde zurückgedrängt, Brahma, die Weltseele, höchste Gottheit; die strenge Kastenordnung lähmte jede freie Kraftentfaltung des Volkes; die zahllosen kleinlichen Zeremonien und Ritualvorschriften, die Lehre von den Wiedergeburten und Höllenstrafen, die finstere Asketik ertöteten allen Lebensmut.

Auch das Staats- und Rechtswesen brachten die Priester durch das angeblich von Mana herrührende Gesetzbuch unter ihre Herrschaft und unterwarfen das Volk einem königlichen Despotismus, der jede politische Selbständigkeit unterdrückte. Dagegen förderten sie nicht die Bildung eines oder mehrerer größerer Staaten. O. zerfiel vielmehr in eine Menge kleiner oder größerer Reiche ohne allen Zusammenhang miteinander, welche nicht die Kraft besaßen, die Eroberung Dekhans zu vollenden und fremden Eroberern erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen. Die Inder, abgestoßen vom wirklichen Leben, flüchteten sich ganz in die Welt der Phantasie.

Im 6. Jahrh. erstand der Buddhismus (s. d.) als eine Reaktion gegen das Brahmanentum und drohte eine Zeitlang, dasselbe zu besiegen. Aber, obwohl schließlich aus O. verdrängt, übte er doch auf die Umgestaltung der brahmanischen Religion durch die Lehre von den Inkarnationen und der ((Trimurti)) einen wesentlichen Einfluß aus. Doch den passiven Charakter des Volkes veränderte er nicht, und nach dem Sieg des Brahmanentums nahm es nicht nur die Religion desselben mit allen Dogmen und Zeremonien wieder an, sondern hing auch seitdem an ihr mit einer Zähigkeit, welche keine Gewalt fremder Eroberer, kein Eindringen ausländischer Sitte zu überwinden vermochte. Schon Dareios I. von Persien eroberte 517 einen Teil des Indusgebiets. Alexander d. Gr. drang 326 bis an die Ostgrenze des Pandschab vor und fuhr den Indus bis zu seiner Mündung hinab; er gründete Kolonien in dem eroberten Land und ließ makedonische Truppen zurück.

Das Verdienst, die fremden Krieger vertrieben zu haben, wird dem König Tschandragupta (Sandrakottos, 315-291) zugeschrieben, der, in Patna residierend, fast das ganze nördliche Indien unter seiner Herrschaft vereinigte. Sein Enkel Asoka (293-226) begünstigte die Ausbreitung des Buddhismus; sein Reich erstreckte sich bis an den Ganges. Im letzten Jahrhundert v. Chr. bemächtigten sich türkisch-tatarische Völker aus Zentralasien, Saka oder Indoskythen genannt, des Pandschab; aus dem mittlern Indien wurden sie vom König Wikramaditya von Malwa 57 v. Chr. (mit diesem Jahr beginnt die Samwat-Ära) wieder vertrieben und 78 n. Chr. bei Multan vom König Saliwahana besiegt (daher die Saka-Ära von 78 ab).

Von Iran aus drangen 705 die Araber in Sind ein; völlig erobert wurde es 712 vom Meer aus durch den arabischen Statthalter von Chorasan, Mohammed ben Kasim, der drei Statthalterschaften errichtete, und dessen Nachfolger auch die Halbinsel Gudscharat besetzten. 1001 unternahm der Ghasnawide Mahmud seinen ersten Heereszug nach Indien; auf den weitern Kriegszügen drang er bis Dehli vor und zerstörte Städte und Tempel. Doch behaupteten die Ghasnawiden dauernd nur die Indusprovinzen, bis sie Ende des 12. Jahrh. von den afghanischen Ghoriden gestürzt wurden. Sultan Schahab ed din aus dieser Dynastie eroberte 1190 das Pandschab, ward jedoch siebenmal vom König Prithwiradscha von Dehli zurückgeschlagen. Erst 1192 siegte er am Flusse ((Saraswati)) (Gogra) und brachte Dehli unter seine Gewalt; in allen unterworfenen Ländern wurde der Islam ausgebreitet. Auf die erste von Schahab ed din begründete Dynastie folgten in Hindostan noch vier afghanische Dynastien bis 1526, welche in Dekhan und dem nordöstlichen Indien aber nur vorübergehend Einfluß gewannen.

Der letzte afghanische Sultan von Dehli, Ibrahim, fiel 1526 bei Panipat im Kampf gegen den tatarischen Sultan Baber, der nun das Reich der Großmoguls gründete. Der berühmteste und bedeutendste derselben war Akbar (1556-1605), der seine Waffen siegreich bis zur West- und Ostküste trug, großartige Paläste und Moscheen erbaute und eine vortreffliche Verwaltung schuf. Sein Sohn Dschehangir (1605-28) dagegen war ein blutgieriger Fanatiker für den Islam, ebenso dessen Sohn Aurengzib (1658 bis 1707), nach dessen Tode das Reich zerfiel. Die mohammedanischen Statthalter und die Hinduradschas, welchen ihr Land gegen bestimmte Abgaben zu Lehen gegeben war, machten sich mehr und mehr unabhängig. Besonders das von Siwadschi (gest. 1682) gegründete Reich der Marathen (s. d.) wurde dem Großmogul gefährlich. 1739 überzog der persische Schah Nadir Hindostan mit Krieg, richtete in Dehli ein schreckliches Blutbad an und schleppte eine ungeheure Beute (angeblich 2500 Mill. Mk.) mit sich fort. Ein Einfall der Afghanen unter Achmed Schah Abdalli (1760) befreite Nordindien von der Herrschaft der Marathen, die es 1758 erobert hatten, durch die Schlacht bei Panipat (6. Jan. 1761), verhalf aber dem Großmogulreich nicht zu neuer Macht.

Inzwischen war 1498 nach der Umschiffung Afrikas der Portugiese Vasco da Gama in Kalikat an der Küste Malabar gelandet, wo er von dem einheimischen Landesfürsten mit Ehren aufgenommen wurde. Die Portugiesen machten sich aber bald durch Grausamkeit und Einführung der Inquisition verhaßt. Gleichwohl entrissen sie den Arabern den einträglichen Handel mit O. und befestigten unter Almeida und Albuquerque ihre Herrschaft; 1509 nahmen sie Goa ein. Als Portugal unter spanische Herrschaft kam (1580), suchten sich die Holländer in O. festzusetzen und gründeten 1594 die niederländische Ostindische Handelskompanie, der 1600 eine englische, 1616 eine dänische, 1664 eine französische folgten. Die niederländische Handelskompanie, welche ihr Hauptaugenmerk auf die Inseln richtete, und die dänische gelangten auf dem Festland zu keiner Bedeutung; die Besitzungen der erstern gingen Mitte des 18. Jahrh., die der letztern (Trankebar, Frederiksnagar und Serampur) 1845 durch Kauf an England über.

Die englisch-indische Handelskompanie gab sich 1612 eine festere Organisation und erhielt 1624 die peinliche Gerichtsbarkeit verliehen; von da an ward die Handelsgesellschaft zugleich als politische Regierung anerkannt. Die erste Faktorei ward 1612 mit Bewilligung des Großmoguls Dschehangir in Surate gegründet, der an der Ostküste 1620 Masulipatam und Armeghon folgten. 1639 ward das Fort St. George in Madras erbaut; 1640 gelangten die ersten englischen Schiffe nach der Mündung des Hugli in Bengalen. Durch Duldsamkeit, Nachgiebigkeit und Unterstützung des einen Gewalthabers gegen den andern gelangten die Engländer zu vorteilhaften Handelsverträgen. Wichtig waren der Erwerb der Insel Bombay, die, 1532 von den Portugiesen besetzt, 1661 als Mitgift der Gemahlin Karls II. an die englische Krone kam und von dieser 1668 an die Handelskompanie abgetreten wurde, und die Gründung des Forts William am Hugli (Kalkutta).

Die von Colbert gegründete Französisch-Ostindische Handelskompanie blühte anfangs rasch auf, erwarb 1674 durch Kauf Ponditscherri und Tschandarnagar in Bengalen und hatte auch vorübergehend (1746-48) Madras im Besitz. Fast ganz Südindien war damals dem Nizam von Haidarabad unterthan, der Nabob von Karnatik (Arkot) war sein Vasall. Die Franzosen begünstigten nun Tschanda Sahib, einen Nachkommen der Dynastie, welcher der Nizam die Nabobwürde von Karnatik entzogen hatte, während die Engländer dessen Feind, den Fürsten von Tandschor, einen Vasallen der Marathen, begünstigten. In dem sich nun entspinnenden Kampf erfochten die Franzosen Sieg auf Sieg, bis Clive die Führung der Engländer erhielt und durch die Einnahme von Arkot (30. Aug. 1751) dem Krieg eine andre Wendung gab; er befreite Tritschinapalli von der französischen Belagerungsarmee und nahm diese im Juni 1752 gefangen. Clive wandte sich darauf nach Bengalen, wo der Nabob Suradsch ud Daulah 1756 Kalkutta eingenommen und 146 gefangene Engländer in einem Raum von nur 20 Quadratfuß, das „schwarze Loch“ genannt, eingesperrt hatte, die bis auf 23 den Erstickungstod starben. Mit 3000 Mann, worunter 900 Engländer, schlug Clive 26. Juni 1757 das 60,000 Mann starke Heer des Gegners bei Plassey, machte ungeheure Beute (über 40 Mill. Mk.) und erwarb die ersten Territorialrechte in Bengalen. Den französischen General Lally Tollendal, welcher nach der Einnahme der englischen Feste David (April 1758) Madras belagerte, zwang er zum Rückzug und nahm den Franzosen mehrere Plätze ab.

Im Pariser Frieden (10. Febr. 1763) erhielten diese Ponditscherri und Tschandarnagar zurück; 1770 jedoch löste sich die Französisch-Ostindische Kompanie auf, und England hatte nun in O. keinen europäischen Nebenbuhler mehr zu bekämpfen. Der mit dem Fürsten von Audh verbündete Nabob von Patna wurde 22. Okt. 1761 von Clive bei Bagsar (Buxar) geschlagen, und 1765 erlangte die Ostindische Kompanie das Recht der Steuererhebung und Zivilverwaltung in ganz Unterbengalen und Bihar. In Südindien gingen die Engländer zunächst noch vorsichtig vor, und als der Nizam von Haidarabad sich mit Haider Ali von Maissur gegen sie verbündete, mußten sie sich 3. April 1769 zu einem schimpflichen Vertrag bequemen. Der Sieg des Generals Sir E. Coote (2. Juni 1782) und der Tod Haider Alis (10. Dez.) gaben ihnen aber auch hier das Ãœbergewicht. In anbetracht dieser Gebietserwerbungen hatte das englische Parlament 1773 die Verhältnisse der Ostindischen Kompanie geregelt und namentlich bestimmt, daß Kriegserklärungen und Verhandlungen über Ländererwerb stets dem englischen Ministerium vorgelegt werden müßten; an der Spitze der indischen Besitzungen sollte ein Generalgouverneur stehen. Pitts Bill vom 18. Mai 1784 setzte in England einen Aufsichtsrat (Board of control) ein, dessen Präsident ein verantwortlicher Minister war.

Die Privilegien der Kompanie wurden aber 1793 auf 20 Jahre verlängert. Erster Generalgouverneur (seit 1784) war Warren Hastings, der ohne Rücksicht auf die Verträge mit den indischen Fürsten das Gebiet der Kompanie den Ganges aufwärts erweiterte und Bengalen vortrefflich organisierte, aber nicht bloß sich selbst aus Habgier auf ungerechte Weise bereicherte, sondern dasselbe auch seinen Beamten gestattete und die Einwohner damit unsäglichen Bedrückungen und Mißhandlungen preisgab. Hastings wurde 1785 abberufen und Lord Cornwallis (1786-93) an seine Stelle ernannt, der Haider Alis Sohn Tippu Sahib von Maissur, welcher den Engländern den Krieg erklärt hatte, unterstützt von dem Nizam von Haidarabad und den Marathen, glücklich bekämpfte, ihn 1761 bei Bangalor besiegte und in Seringapatam einschloß, so daß Tippu 1792 Malabar und Kurg abtreten mußte. Nach der kurzen Regierung Sir John Shores (1793-98) folgte Lord Wellesley (1798-1805), unter dem Tippu 1799 den Krieg erneuerte. Doch wurde er wiederholt besiegt und fiel bei der Erstürmung seiner Hauptstadt Seringapatam (4. Mai 1799).

Der größere Teil von Maissur wurde unter direkte englische Herrschaft gestellt, das Binnenland den Nachkommen Tippus belassen, bis es 1832 wegen schlechter Regierung ebenfalls in englische Verwaltung genommen wurde. Wellesley war nun bemüht, die Marathen dem englischen Einfluß zu unterwerfen, und nachdem er sich durch den Vertrag von Bassein (31. Dez. 1802) festen Einfluß in der Hauptstadt des Peischwa, in Puna, gesichert hatte, besiegte er den Sindia in der Schlacht bei Assaye (23. Sept. 1803), während das andre weniger mächtige Oberhaupt der Marathen, der Holkar von Indor, seine Unabhängigkeit behauptete und der Sindia nach Wellesleys Abberufung seine Residenz Gwalior zurückerhielt. Der Marquis von Hastings (1813-23) zwang den Holkar, der sich mit den Räuberbanden der Pindari vereinigt hatte, 1817 durch den Sieg bei Mehidpur, sich unter britischen Schutz zu stellen; die Pindari wurden unterworfen und Puna, der Sitz des Peischwa, zu Bombay geschlagen. Nepal mußte im Vertrag von Sigauli (4. März 1816) Kamaon abtreten, wodurch dieses Reich von Kaschmir getrennt wurde. Lord Auckland (1836-42) begann den an Wechselfällen des Glücks reichen Krieg mit Afghanistan (s. d., S. 145).

Obwohl die Kompanie Kriege und Gebietserweiterungen gar nicht wünschte, wurden die Engländer durch die noch unabhängigen Völker selbst zu Kriegen und Eroberungen genötigt. So erwarb Lord Ellenborough (1842-44) Sind, das Land am untern Indus. 1845 griffen die Sikh (s. d.) das britische Gebiet an und erhoben sich, 1846 zum Frieden von Lahor gezwungen, 1848 von neuem. Nach ihrer Niederlage bei Gudschrat (21. Febr. 1849) wurde ihr Reich mit Britisch-Indien vereinigt. Pegu in Hinterindien ward 1852 nach einem Krieg mit Birma erworben, Audh 1856 einverleibt. Der mit 30. April 1854 abgelaufene Freibrief der Kompanie wurde nicht erneuert, sondern durch Gesetz vom 4. Mai 1854 die Aufsichtsrechte der Krone erweitert und bestimmt, daß die Verhältnisse der Kompanie jederzeit gesetzlich geregelt werden könnten.

Unter dem Generalgouverneur Viscount Canning (1856-62) brach der große indische Aufstand aus. Mancherlei Rücksichtslosigkeiten und Gewaltthaten der Engländer hatten Erbitterung erzeugt, der Verlauf des Krimkriegs die Furcht vor Englands Kriegsmacht gemindert, so daß es nur eines geringen Anlasses bedurfte, um einen allgemeinen Aufruhr hervorzurufen. Diesen Anlaß gab die Einführung der Enfieldbüchse und deren mit Rindertalg und Schweineschmalz (ersterer den Hindu, letzteres den Mohammedanern ein Greuel) bestrichene Patronen bei den eingebornen Truppen (Sepoys oder Sipahis). In Mirat bei Dehli kam es 10. Mai 1857 zuerst zu einer Empörung der Truppen, welche alle Europäer und Christen ermordeten und deren Besitzungen niederbrannten. Ein britisches Schützenregiment vertrieb die Rebellen. Doch entkamen dieselben nach Dehli, wo drei eingeborne Regimenter sich ihnen anschlossen. Das dort angehäufte Kriegsmaterial fiel in ihre Hände, alle Europäer, die sich nicht geflüchtet hatten, wurden ermordet und der Großmogul Mohammed Bahadur Schah, dessen Macht bisher nur ein Schein gewesen, an die Spitze gestellt.

Rasch verbreitete sich nun der Aufstand über ganz Hindostan; zu Khanpur wurden die englischen Soldaten und Einwohner, welche sich in ein Hospital gerettet hatten, auf Befehl Nana Sahibs alle ermordet. Das Pandschab dagegen blieb nicht nur ruhig, sondern stellte auch die meisten und zuverlässigsten Soldaten gegen die Aufständischen. In den Präsidentschaften Madras und Bombay schlossen sich die Truppen der Bewegung nur vereinzelt an. Die Entscheidung knüpfte sich an den Besitz von Dehli; dasselbe wurde daher von einer großen englischen Armee regelrecht belagert und 20. Sept. 1857 unter furchtbarem Blutvergießen erstürmt. Auch das übrige Hindostan wurde allmählich unterworfen, zuletzt Lakhnau (19. März 1858) und Gwalior (18. Juni); nur vereinzelte Rebellenhaufen hielten sich noch länger. Die gefangenen Rebellen wurden vielfach rottenweise mit Kanonen niedergeschossen, zahlreiche Führer hingerichtet, der Scheinherrschaft des Großmoguls ein Ende gemacht. (Vgl. Kaye, History of the Sepoy war, Lond. 1864-80, 3 Bde.)

Für die Verwaltung Indiens ward der Aufstand zum entscheidenden Wendepunkt. Durch Gesetz vom 2. Aug. 1858 wurde dieselbe auf die englische Krone übertragen; der Generalgouverneur nahm den Titel Vizekönig an. Die Ruhe im Land wurde wiederhergestellt. Unter den Mohammedanern dauerte die Gärung allerdings noch einige Zeit fort; so ward 1863 in Patna eine Verschwörung (Patna-Anschlag) entdeckt und im Keim erstickt, und durch strenge Ausnahmegesetze wurden die fanatischen Sekten der Wahabi im Pandschab und Mophla (Mapilla) in Malabar im Zaum gehalten. 1863 mußte ein Krieg gegen Bhutan geführt werden. Doch widmeten sich nun die Vizekönige vorzugsweise der innern Verwaltung und der Regelung des Steuerwesens. Die mehrmals auftretende Hungersnot (1873-74 in Bihar, 1877-78 in Dekhan) raffte viele Menschen dahin, wurde aber von der Regierung nach Möglichkeit gemildert; fast 3 Milliarden Mk. verausgabte sie seit 1873 zur die Linderung derselben und bestimmte 1877, daß besondere Steuerzuschläge erhoben und ihr Ertrag als Hilfsfonds für Hungersnot kapitalisiert werden solle (vgl. Digby, The famine campaign in Southern India, Lond. 1878, 2 Bde.).

Die englische Herrschaft befestigte sich unter diesen Umständen immer mehr, wie der glänzende Empfang bewies, den der Prinz von Wales bei seiner Rundreise in O. 1875-76 fand. Durch Parlamentsakte vom 29. April 1876 legte sich die Königin Viktoria den Titel „Kaiserin von Indien“ („Empress of India, Kaiser-i-Hind“) bei, und der Vizekönig Lord Lytton verkündete 1. Jan. 1877 in Dehli unter großen Feierlichkeiten die Errichtung des Indischen Kaiserreichs. Im Innern wurde es durch Ordnung seiner Finanzen, Einführung von Zöllen und Organisation seiner Gerichte möglichst selbständig gemacht. Nach außen hin entfaltete es seine Kräfte in den Kriegen mit Afghanistan (s. d., S. 146-147) und Birma, das 1886 mit Indien vereinigt wurde. Sowohl 1877 bei der Bedrohung Konstantinopels durch die Russen als 1882 in Ägypten konnte England indische Truppen verwenden und die Kosten dem indischen Budget zur Last legen. So trug Indien nicht mehr bloß indirekt zum Reichtum und zur Machtstellung Englands bei, sondern beteiligte sich schon direkt an der Verteidigung und Verstärkung der britischen Herrschaft, der es nicht bloß innern Frieden, sondern auch erstaunliche Fortschritte verdankt.

Vgl. Lassen, Indische Altertumskunde (2. Aufl., Leipz. 1866 ff., 4 Bde.); Lefmann, Geschichte des alten Indien (Berl. 1881-85); Fr. Neumann, Geschichte des englischen Reichs in Asien (Leipz. 1857, 2 Bde.); Keightley, Geschichte von Indien (deutsch, 3. Aufl., Lpz. 1874); R. Hunter, The history of India from the earliest ages to the fall of the East India-Company (Lond. 1863); Wheeler, History of India from the earliest ages (das. 1868-76, 4 Bde.); Derselbe, India under British rule (das. 1886); Keene, A sketch of the history of Hindustan (das. 1885); Trotter, History of India under Queen Victoria (das. 1887, 2 Bde.); M. Müller, Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung (deutsch, Leipz. 1884).