Weda (Veda), bei den Indern der älteste Teil ihrer Litteratur, welcher sich sowohl durch den Inhalt als auch durch die Sprache nicht unwesentlich von der spätern Sanskritlitteratur unterscheidet. Der W. („Wissenschaft“) liegt uns in den drei Stufen: Mantra (Gottesdienst), Brahmana (Theologie) und Sutra (eigentlich Faden, Band) vor, die den vier Teilen des W.: Rik, Saman, Jadschus, Atharwan in gleicher Weise gemeinsam sind. Das Mantra, auch Samhita („Sammlung“) genannt, der älteste Teil, enthält Hymnen und Sprüche, mit und ohne Beziehung auf rituelle Vorgänge, zum Teil in sehr alte Zeiten hinaufreichend. Die Brahmana haben die Verbindung der Opferlieder mit der Opferhandlung zum Zweck, indem sie entweder das Lied oder den Spruch analysieren, oder diese Verbindung traditionell oder spekulativ begründen; sie sind für uns die älteste Quelle für Ritualvorschriften, sprachliche Erklärungen, Legenden und dogmatische Anschauungen.
Sie gehören der Übergangsperiode aus der wedischen in die brahmanische Lebensauffassung an und reflektierten ursprünglich die Ansichten verschiedener Schulen; indessen haben sich im Kampf ums Dasein nur die Brahmana der Schulen erhalten, die jedesmal mit ihrer Auffassung herrschend blieben. Die ersten Versuche philosophischer Systematisierung finden sich in den Teilen der Brahmana, die den speziellen Namen Upanischad führen. Die Brahmana-Litteratur heißt auch Çruti („Gehör“), d. h. was Gegenstand des Vortrags, der Lehre ist.
Die Sutra endlich fassen die rituellen, exegetischen und traditionellen Ausführungen der Brahmana, die sich in diesen immer nur auf einzelne Fälle beziehen, in ihrer Totalität systematisch zusammen und streben im Ausdruck nach äußerster, oft bis zur Dunkelheit gehender Knappheit. Man unterscheidet: Kalpa-Sutra oder Çrauta-Sutra, die nur das Opferritual behandeln; Grihja-Sutra, welche die häuslichen Zeremonien bei Geburt, Hochzeit, Tod zum Gegenstand haben und auch die Anfänge indischer Rechtslitteratur enthalten; Pratiçakhja-Sutra, die sich mit der Rezitation der Lieder und der Aussprache der Worte beschäftigen. An sie schließen sich eine Anzahl ähnlicher Erklärungsschriften an, wie die Anukramanî, Verzeichnisse von Dichtern, Metren und Gottheiten der einzelnen Lieder, die Itihasa und Purana mit Sagen über die Entstehung von Kultusformen, die Nighantu (Erklärungen schwieriger Wörter) und Nirukti (Auslegung), ein Kommentar dazu von Jaska, die älteste grammatische Arbeit.
Die Samhita des Rigweda enthält den Liederschatz, den die Inder aus ihren Stammsitzen am Indus mitbrachten, und dessen älteste Hymnen bis ins 15. Jahrh. v. Chr. hinaufreichen. Sie ist eingeteilt in 10 Mandala (Kreise) mit 1017 Hymnen (Sukta) in 10,580 Versen (Ritsch); die einzelnen Mandala werden verschiedenen Verfassern zugeschrieben, nur das 1. und 10. enthalten Lieder von Sängern (Rischi) verschiedener Geschlechter; innerhalb der einzelnen Mandala sind die Hymnen nach den Gottheiten geordnet, an die sie gerichtet sind, zuerst ((Agni)), dann ((Indra)) etc.; das 9. Buch enthält nur Hymnen an ((Soma)). Die Lieder des Rigweda enthalten die ältesten Nachrichten über die historischen und sozialen Verhältnisse der Inder, wie auch ihre Sprache an Altertümlichkeit das spätere Sanskrit bedeutend überragt; dagegen ist die Bedeutung der Lieder für die vergleichende indogermanische Mythologie überschätzt worden.
Ein wertvoller Kommentar ist uns aus dem 14. Jahrh. n. Chr. von Sajana erhalten (Ausgaben von M. Müller, Lond. 1849-75, 6 Bde.; kleinere Ausgabe, 2. Aufl. 1878; von Aufrecht, 2. Aufl., Bonn 1877, 2 Bde.; von Oldenberg, Berl. 1888 ff.; Übersetzungen von H. Graßmann, Leipz. 1876-77, 2 Bde.; von A. Ludwig, Prag 1875-88, 6 Bde.; K. Geldner u. A. Kägi, 70 Lieder des Rigveda übersetzt, Tübing. 1875). Zum Rik gehören: das Aitareja-Brahmana (hrsg. mit Übersetzung von M. Haug, Bombay 1863, 2 Bde.) und das Çankhajana-Brahmana, von Sutren das Âçvalajana Sutra (hrsg. in der „Bibliotheca indica“, Kalk. 1864-74) und das Cankhajana-Sutra, ferner ein sehr wichtiges Pratiçakhja-Sutra von Çaunaka (hrsg. von A. Regnier, Par. 1857-58; von M. Müller, Leipz. 1856-69).
Die Samhita des Samaweda ist eine Anthologie aus der des Rigweda, die Verse derselben umfassend, welche beim Somaopfer gesungen werden sollen. Saman bedeutet einen musikalisch modulierten Vers, jeder Ritsch kann in eine unbestimmte Anzahl von Saman verwandelt werden. Von den 1810 Versen des Samaweda sind nur 78 nicht in der Rik-Samhita nachgewiesen; die Überlieferung der Verse im Samaweda ist nicht selten altertümlicher als im Rigweda (Ausg. von Th. Benfey, mit Übersetzung und Glossar, Leipz. 1848, 2 Bde.).
Zum Samaweda gehören: das Tandja-Brahmana, auch Pantschawinça genannt, das Schadwinça-Brahmana, das Tschhandogja-Brahmana, ferner Sutren von Maçaka, Latjajana, Drahjajana, das Anupadasutra, Nidanasutra, Puschpasutra u. a. Der Jadschurweda (Jadschus, s. v. w. Opfer) enthält poetische und prosaische Sprüche für das gesamte Opferzeremoniell und zerfällt in den schwarzen Jadschurweda, auch Taittirîja-Samhita genannt (hrsg. von A. Weber in „Indische Studien“, Bd. 11 u. 12, 1871 bis 1872), und den weißen Jadschurweda, auch Vadschasaneja-Samhita (hrsg. von A. Weber, Berl. 1849-52). Höchst wichtig ist das Çatapatha-Brahmana zum weißen Jadschus, durch Umfang und Inhalt das bedeutendste von allen Brahmana, besonders interessant durch seine Beziehungen zur spätern epischen Poesie der Inder wie zu den Legenden der Buddhisten und der Sankhjaphilosophie (Ausg. von A. Weber, Berl. 1852-55).
Die Sanihita des Atharwaweda enthält in 20 Büchern (Kanda) etwa 760 Hymnen mit gegen 6000 Versen, wovon etwa ein Fünftel aus der Riksamhita stammt, meist Zauberformeln, Verwünschungen, Beschwörungen böser Geister, Sprüche für allerlei Vorkommnisse des täglichen Lebens (Ausg. von Roth und Whitney 1855-56; hundert Lieder, übersetzt von Grill, 2. Aufl., Stuttg. 1888). Das dazu gehörige Pratiçakhja hat Whitney im „Journal of the American Oriental Society“ 1862 herausgegeben; für die Geschichte der indischen Philosophie sind die Upanischads des Atharwan besonders wichtig. Das ganze ungeheure Korpus der Wedalitteratur, das im großen Ganzen wohl im 6. Jahrh. abgeschlossen war, ist ohne Zweifel sehr lange Zeit nur mündlich fortgepflanzt worden. Wann die schriftliche Diaskeuase stattgefunden hat, läßt sich gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit bestimmen; sie scheint aber von der Zeit ihrer Feststellung an bis auf die unsrige ganz unverändert bewahrt worden zu sein.
Noch heute gibt es ((Brahmanen)), die einen ganzen W. (Samhita, Brahmana und Sutra) auswendig wissen und so gewissermaßen eine lebendige Bibliothek bilden. Auch die Vortragsweise ist bis in die minutiösesten Details treu überliefert; neben dem Vortrag nach den Regeln, wie sich die Wörter eines Satzes zu einer Einheit verschlingen, dem Samhitatext, gab es eine für alle vier Sammlungen auf uns gekommene Vortrags-, jetzt Schreibweise, den Padatext, in welcher die Verschlingungen alle aufgehoben sind und die Wörter in der Gestalt erscheinen, die sie außerhalb des Satzes haben.
Vgl. Roth, Zur Litteratur und Geschichte des W. (Stuttg. 1846); M. Müller, History of ancient Sanscrit literature (2. Aufl., Lond. 1860); Muir, Original Sanscrit texts (1858 bis 1872, 5 Bde.; teilweise in 3. Aufl.); Whitney, The Vedas (in „Oriental and linguistic studies“, Bd. 1, New York 1873); A. Kägi, Der Rigveda (2. Aufl., Leipz. 1881); Ludwig, Die philosophischen und religiösen Anschauungen der W. (Prag 1875); H. Zimmer, Altindisches Leben (Berl. 1879).