Zentralasien (hierzu die Karte „Zentralasien“), der von A. v. Humboldt an die Stelle mehrerer vorher gebräuchlicher (Große und Kleine Bucharei, Freie Tatarei) gesetzte Name für das Gebiet, welches vom Kaukasus im W., Sibirien im N., China im O. und Indien im S. begrenzt wird, eine Begrenzung, die indes von F. v. Richthofen als unhaltbar nachgewiesen wurde.
Letzterer beschränkt Z. auf die Länder zwischen dem Altai im N., Pamir im W., dem Hochland von Tibet im S. und der Wasserscheide der Riesenströme von China (Jantsekiang und Huangho), dann dem Chingangebirge im O.; diesem Kern sind die übrigen Länderstrecken Zentralasiens, „deren Gewässer durch Flüsse nach dem Meer oder nach den seeartigen Überresten desselben auf dem Festland (Kaspisches Meer, Aralsee) geführt werden“, wie das Hochland Iran, als „peripherische Gebiete“ angeschlossen.
Somit ist Z. das zusammenhängende, kontinentale Gebiet der, geologisch betrachtet, alten abflußlosen Wasserbecken, ein Land, in dem die lange Existenz der letztern die durch den Charakter der Abflußlosigkeit veranlaßten besondern Erscheinungen im vollsten Maß zur Entwickelung kommen ließ. Ausgeschieden vom eigentlichen Z. sind hierdurch die peripherischen Gebiete, welche alle Länderstrecken umfassen, deren Gewässer durch Flüsse nicht nach dem Meer, sondern nach den seeartigen Überresten desselben auf dem Festland, nach dem Kaspischen Meer, Aralsee etc. geführt werden. Zwischen beiden liegt sodann an vielen Stellen eine Zone des Überganges, wo in den jüngsten Perioden Teile der abflußlosen Gebiete in abfließende verwandelt worden sind (oberes Indusbecken in Hochtibet, Kuku-Norbecken scheint nachzufolgen) oder das Umgekehrte stattgefunden hat (Pangkongsee in Westtibet).
Hauptländer dieser peripherischen Gebiete sind Russisch-Turkistan mit dem transkaspischen Teil von Hoch-Iran. Das Innere von Z. besteht aus vielen großen und kleinen, äußerst flachen Senkungen, in denen das niederfallende Wasser entweder sehr bald vom Boden aufgesogen wird, oder sich zu Bächen vereinigt, die entweder bald versiegen, oder bis zur tiefsten Senkung fortfließen, oft eine Reihe von Becken miteinander verbindend. Ist die Depression ringsum geschlossen, so breitet sich ein Salzsee oder Salzsumpf aus, der periodisch austrocknet. Die Randgebiete, welche die Becken voneinander trennen, bestehen im allgemeinen aus den nach der Abtragung (Abschwemmung) großer Gesteinsmassen übriggebliebenen Resten der Gebirge oder Glieder von Gebirgen, welche ursprünglich zu der Anordnung der Becken Veranlassung gaben.
Man sieht meist nur einförmige, flach gerundete Rücken; unmerklich steigt man vom Salzsee auf dem Steppenboden nach dem Scheiderücken auf, um ebenso unmerklich nach dem Ufer eines vielleicht viel größern und tiefer gelegenen Beckens hinabzuschreiten. So führt der ganze Weg zwischen Urga in Südsibirien nach Kalgan in China über weite Mulden und flache Rücken. Als mächtige Bergmasse steigt bis in die Schneeregion empor und gipfelt in Alpenformen das Thianschangebirge, das die Mongolei im N. von Ostturkistan und der Gobi im S. trennt. Der Steppenboden läßt sich in folgende vier Gruppen bringen: 1) die gelberdige oder Lößsteppe aus zerreibbarer, lockerer, dem Lehm einigermaßen ähnlicher Erde, bald braungelb, bald von ins Schwärzliche gehender Färbung durch die Vermengung mit verwesenden Pflanzen.
Diese Steppe ist der Vegetation günstig, gibt die besten Weideplätze und nimmt die größte Fläche ein; 2) die Sandsteppe, richtiger Sandwüste, besteht aus feinem, jeder Vegetation feindlichem Sand; sie findet sich hauptsächlich im Tarimbecken (Ostturkistan); 3) die Kiessteppe besitzt den Wüstencharakter nicht in gleichem Maß wie der fliegende Sand, läßt aber Gras nur sparsam sprossen, wo sie Regen empfängt (Gobisteppe), ist im ganzen von geringerer Ausdehnung als die beiden vorigen; 4) die Stein- oder Schuttsteppe ist dadurch gekennzeichnet, daß in der lockern, feinerdigen Substanz der Lößsteppe scharfkantiger Gebirgsschutt in wechselnder Menge eingeschlossen ist.
Die Vegetation findet hier Bedingungen ähnlicher Art wie in der gelberdigen Lößsteppe, wenn auch die Anwesenheit der Steine eine gewisse Verteilung veranlaßt. – Das Klima ist im Sommer überall sehr heiß, Schnee bleibt im S. selten lange liegen. In der Mongolei und in den Steppen weht im Winter heftiger austrocknender Nordwestwind oft Wochen hindurch mit erschrecklicher Heftigkeit. Schneegestöber macht den Aufenthalt höchst unangenehm, erst Ende Mai oder Anfang Juni fällt der letzte Schnee. Regenfall ist hier im Sommer reichlich; dagegen charakterisiert große Trockenheit die Länder südöstlich des Thianschan, worin sich die Nähe Hochasiens bemerkbar macht. Frühling und Herbst fehlen in den Steppen.
An Produkten ist dieses weite Gebiet sehr arm. Wachstum ist durchgehends bedingt durch künstliche Bewässerung; ergiebige Ernten werden daher nur in wenigen bevorzugten Gegenden erzielt. Die fruchtbarsten Teile sind die Flußufer im Tarimbecken. Der Ackerbau wird hier noch mit höchst unvollkommenen Geräten betrieben; die Nomaden sind Viehzüchter. Groß ist der Reichtum an Wild; der Thianschan beherbergt das Riesenschaf (Ovis Polii) und einen Vultur indicus, der durch seine Größe wahrscheinlich Anlaß gab zu dem fabelhaften Vogel Greif in Marco Polos Reisebericht. Die Bevölkerung Zentralasiens zeigt wie das Land eine überraschende Zusammengehörigkeit. Ursprünglich wohnten hier Indogermanen, die sich noch bis heute in abgelegenen Thälern erhalten haben, wo sie ihr Leben von etwas Feldbau, Viehzucht und Jagd fristen. Die große Masse, das tonangebende Volk, gehört heute zum türkisch-tatarischen Stamm (Kirgisen, Mongolen, Uzbeken, Turkmenen, s. d.); fleißige Ackerwirte sind die Nachkommen der altiranischen Kolonisten, die Tadschik und Sarten (s. d.). Über die Zahl der Bewohner besitzen wir durch die Erweiterung der russischen Besitzungen im Transkaspischen Gebiet ziemlich verläßliche Schätzungen. Die Einwohnerzahl von Russisch-Turkistan wird 1885 auf 3,426,324 angegeben, im Generalgouvernement der Steppe auf 1,900,774, so daß der russische Anteil an Z. 5,327,098 Einw. zählt. Die Staaten Chiwa und Bochara zählen 2,800,000 Einw., das Tafelland Iran mit dem Hauptland Persien 7 Mill., die Hochthäler im Quellgebiet des Amu Darja und Sir Darja sind zu 1 Mill. anzunehmen, für die Mongolei gelten 2 Mill. als annähernd richtig, die Dsungarei, ausschließlich der russisch gebliebenen Teile, ist zu höchstens 200,000, das wieder China unterworfene Ostturkistan zu etwas über ½ Mill. anzunehmen. Das gibt eine Gesamtbevölkerung von rund 19 Mill. auf dem weiten Raum von 300,000 QM. Verhältnismäßig dicht bevölkert sind nur die Haupthandelsstädte und ihre Umgebungen.
Die Religion ist durchweg der Islam, dagegen herrscht große Mannigfaltigkeit in der Sprache. Persisch wird im SW., türkisch-tatarisch im Zentrum, mongolisch im O. gesprochen. Der Lebensweise nach sind die Bewohner der Flußufer seßhaft, die der Steppen dagegen Nomaden. Die seßhafte Bevölkerung bewohnt zum Teil höchst ärmliche Lehmhütten, in den Haupthandelsstädten fehlt es aber nicht an prächtigen Gebäuden. Die zahlreichen Befestigungen bestehen aus Erdmauern, die europäischen Waffen keinen Widerstand zu leisten vermochten. Für Verkehrswege ist erst seit der russischen Beherrschung Zentralasiens, nun aber auch viel gethan worden (vgl. Turkistan). Das Vorrücken der russischen Grenzen in Turkistan bis hart an den Hindukusch erregte die ernsteste Aufmerksamkeit Englands, das für seine indischen Besitzungen einen Kriegsfall zu befürchten begann. Die Forsythsche Expedition von 1873 nach Kaschgar im westlichen Z. und den Pamirhochthälern, dem Grenzgebiet Zentralasiens gegen Russisch-Asien, erwies, daß in Indien ein russischer Angriff auf Z. nicht zu fürchten sei. Dagegen ist Rußland nach seiner Lage und seinen Macht- und Handelsverhältnissen die Aufgabe gestellt, Z. sich zu erschließen und von hier auf China und Persien einen Druck auszuüben, aber weiter nach S. nicht vorzudringen. Rußland ist sich dieser Aufgabe vollkommen bewußt; sie findet in zahlreichen Werken, Abhandlungen und Zeitungsartikeln beredten Ausdruck.
Eine „Karte der russischen Eroberungen in Z.“ ist dem Artikel Russisches Reich (S. 81) beigegeben. Weiteres s. auch im Art. Asien, Entdeckungsgeschichte. Vgl. A. v. Humboldt, Asie centrale (Par. 1843, 3 Bde.; deutsch von L. Mahlmann, Berl. 1844, 2 Bde.); Khanikow, Mémoire sur la partie meridionale de l’Asie centrale (Par. 1863); Mac Gregor, Central Asia, compiled for political and military reference (Kalkutta 1871, wichtiges anglo-indisches Sammelwerk); H. Rawlinson, England and Russia in the East (2. Aufl., Lond. 1875); Wenjukow, Die russisch-asiatischen Grenzlande (deutsch, Leipz. 1874); Vambéry, Z. und die englisch-russische Grenzfrage (das. 1873, geschichtlichen Inhalts); F. v. Hellwald, Zentralasien (das. 1874); Derselbe, Die Russen in Z. (neue Ausg., Augsb. 1878); v. Richthofen, China (Berl. 1877 ff.); Boulger, England and Russia in Central Asia (Lond. 1879, 2 Bde.); Marvin, Reconnoitring Central Asia, between Russia and India (2. Aufl., das. 1885); Edwards, The Russian projects against India (das. 1885); Moser, Durch Z. (Leipz. 1887, Reiseschilderungen); Curzon, Russia in Central Asia in 1889 (Lond. 1889). Unter den Karten von Z. ist Walkers „Map of Central Asia“ (mehrfach aufgelegt) hervorzuheben.